saladin:
da du nun so weise bist: so sage mir doch einmal -
was für ein glaube, was für ein gesetz hat dir am meißten eingeleuchtet ?
nathan:
sultan, ich bin ein jud'.
saladin:
und ich ein muselmann. der christ ist zwischen uns. - von diesen drei
religionen kann doch eine nur die wahre sein. - ein mann, wie du, bleibt da
nicht stehen, wo der zufall der geburt ihn hingeworfen:
oder wenn er bleibt, bleibt er aus einsicht, gründen, wahl des bessern.
wohlan! so teile deine einsicht mir dann mit. laß mich die gründe hören, denen
ich selber nachzugrübeln, nicht die zeit gehabt.
laß mich die wahl, die diese gründe bestimmt, - versteht sich,
im vertrauen - wissen, damit ich sie zu meiner mache. - wie ?
du stutzest ? wägst mich mit dem auge ? - kann wohl sein, daß ich der erste
sultan bin, der eine solche grille hat; die mich doch eines sultans
eben nicht so ganz unwürdig dünkt. - nicht wahr ? - so rede doch !
sprich! - oder willst du einen augenblick, dich zu bedenken ?
gut; ich geb' ihn dir. - denk nach ! geschwind denk nach !
ich säume nicht, zurück zu kommen.
nathan:
[überlegt...]
vor grauen jahren lebt' ein mann in osten,
der ein ring von unschätzbarem wert'
aus lieber hand besaß. der stein war ein opal, der hundert schöne farben
spielte und hatte die geheime kraft, vor gott und den menschen
angenehm zu machen, wer in dieser zuversicht ihn trug.
was wunder, dass ihn der mann im osten darum nie vom finger ließ;
und die verfügung traf, auf ewig ihn bei seinem hause zu erhalten ?
nämlich so. er ließ den ring von seinen söhnen dem geliebtesten;
und setzte fest, dass dieser wiederum den ring von seinen
söhnen dem vermache, der ihm am liebsten sei;
und stets der liebste, ohn' ansehn der geburt, in kraft allein des rings,
das haupt, der fürst des hauses werde. - versteh mich, sultan.
saladin:
ich versteh dich, weiter!
nathan:
so kam nun dieser ring, von sohn zu sohn, auf einen vater endlich
von drei söhnen; die alle drei ihm gleich gehorsam waren,
die alle drei er folglich gleich zu lieben sich nicht entbrechen konnte.
nur von zeit zu zeit erschien ihm bald der, bald dieser, bald der dritte,
- so wie jeder sich mit ihm allein befand, und sein ergießend herz
die anderen zwei nicht teilten, - würdiger des ringes; den er denn auch einem
jeden die fromme schwachheit hatte, zu versprechen.
das ging nun so, so lang es ging. - allein es kam zum sterben,
und der gute vater kömmt in verlegenheit. es schmerzt ihn, zwei von
seinen söhnen, die sich auf sein wort verlassen, so zu kränken.
- was zu tun ? - er sendet im geheim zu einem künstler,
bei dem er, nach dem muster des ringes, zwei andere bestellt,
und weder kosten noch mühe sparen heißt, sie jenem
gleich, vollkommen gleich zu machen. das gelingt dem künstler.
da er ihm die ringe bringt, kann selbst der vater seinen
musterring nicht unterscheiden.froh und freudig ruft er seine söhne,
jeden ins besondre; gibt jedem ins besondre seinen segen, -
und seinen ring, - und stirbt- - du hörst doch, sultan ?
saladin:
ich hör, ich höre ! - komm mit deinem märchen nur bald zu ende - wirds?
nathan:
ich bin zu ende. denn was noch folgt versteht sich ja von selbst. -
kaum war der vater tot, so kömmt ein jeder mit seinem ring,
und jeder will der fürst des hauses sein. man untersucht, man zankt,
man klagt. umsonst; der rechte ring war nicht erweislich; - fast unerweislich,
als uns itzt - der rechte glaube.
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